Die Frommestraße

Ein Beitrag von Lajos A. Rakow und Deborah Lemke

Das alternative Lüneburg

Die Frommestraße in Lüneburg bildet das momentane Epizentrum des Senkungsgebiets. Die höchste Senkungsrate im Jahr 2013 lag bei 21 cm. Zum Vergleich: Im Jahr 2012 be-trug diese 18,9 cm. Im Schnitt sackte der Boden in den letzten dreieinhalb Jahren um 58 Zentimeter ab (Stand Oktober 2013). Die denkmalgeschützten Häuser der Frommestraße 4 und 5 wurden nach langem Bürgerprotest im Jahr 2012 abgerissen. Beim Abriss eines weiteren Hauses 2011 wurde auch das „Tor zur Unterwelt“ beschädigt: das Wahrzeichen des Lüneburger Senkungsgebietes.

Architektur und Frommestraße

Ob nun neogotische Spitzbögen oder gründerzeitliche Klassizistik: Das Häuser-Ensemble der Frommestraße sowie der Bastionstraße wurde um 1900 erbaut. Doch die Fromme-straße trug nicht immer diesen Titel. Zu Zeiten Kaiser Wilhelms gab er dieser Straße sei-nen Namen: Kaiser-Wilhelm-Platz. Aus dieser Epoche stammt auch das 1898 erbaute „Tor zur Unterwelt“. Dieses stellt noch immer den Eingang zur Hausnummer 3 dar, auch wenn das Haus selbst schon längst nicht mehr existiert. Das Tor steht bis heute an seinem ursprünglichen Platz, jedoch nicht mehr in seiner ursprünglichen Form: Seit Erbauung sank der Erdboden hier um zwei Meter ab. Dadurch verschoben sich die Pfeiler der Ein-gangspforte horizontal um einen Meter zueinander, bevor das „Tor zur Unterwelt“ 2011 bei Bauarbeiten beschädigt wurde.

Eine ungewisse Zukunft?

Seit Juli 2013 befindet sich das 501 m² große Grundstück Frommestraße 5, welches laut Grundbuch eine Kläranlage unter Tage aufweist, in neuem Besitz. Nachdem die Stadt Lüneburg die denkmalgeschützten Häuser für einsturzgefährdet erklärt hatte, mussten sie im Jahr 2012 abgerissen werden. Die neue Besitzerin würde die Fläche gerne begrünen, um den Abrissbereich zu verschönern. Momentan liegen für beide Grundstücke keine konkreten Pläne zur Bebauung des Grundstücks vor.

  • Frommestraße 4/5 einige Jahre vor dem Abriss dieser beiden Gebäude. Das Unglück nahm schon seinen Lauf, denn beim ge-nauen Hinsehen erkennt man, dass im oberen Randbereich der beiden Häuser bereits ein Spalt klafft und die Ziegelreihen der beiden Gebäude keine waagerechte Linie mehr bilden. © Peter Pez
    Frommestraße 4/5 einige Jahre vor dem Abriss dieser beiden Gebäude. Das Unglück nahm schon seinen Lauf, denn beim ge-nauen Hinsehen erkennt man, dass im oberen Randbereich der beiden Häuser bereits ein Spalt klafft und die Ziegelreihen der beiden Gebäude keine waagerechte Linie mehr bilden. © Peter Pez

Frommestraße als alternativer Raum

Was für die Hamburger Schanzenbewohner die Rote Flora ist, ist für viele junge und alte Lüneburger die Frommestraße. Die Wohnungen und ihre Bewohner aller Generationen stehen für ein Lebensgefühl, das in Lüneburg nur noch selten zu finden ist. Auch wenn die Frommestraße oft in einen negativen Zusammenhang gebracht wurde, stellt sie noch im-mer einen Ort kultureller Vielfalt dar. Nicht zuletzt kann dies auf dem jährlichen und von den Bewohnern organisierten Frommestraßenfest selbst erlebt werden. Gemeinschaft und Zusammenhalt wurden und werden hier weiterhin gelebt. Die Straße und ihre Bewohner symbolisieren alternative Lebensformen und -entwürfe, die sich hier entfalten. Die Frommestraße ist dadurch viel mehr als nur günstiger Wohnraum. Hier zeigt sich auch, dass Lüneburg sich der Diskussion um Gentrifizierung nicht entziehen kann.

Ein Besuch der Gründerzeithäuser und des angeschlossenen Scunthorpe-Parks lohnt sich, um Stadtgeschichte hautnah mitzuerleben. Die Atmosphäre ist noch immer greifbar. Sowohl die aufgestellten Zäune als auch die Bodenwellen zeugen von den enormen Sen-kungen, die eine Neubebauung wahrscheinlich unmöglich machen. Auf die Frommestraße bezogene Informationen werden bald in einem Infokasten im daneben gelegenen Scunthorpe-Park zu finden sein. Von hier aus lassen sich die Häuser der Frommestraße und das „Tor zur Unterwelt“ betrachten. Zudem ist dieser Bereich der wahrscheinlich wich-tigste Zeitzeuge der aktuellen Senkungsproblematik in Lüneburg. Attraktive Ziele, wie z. B. der Kalkberg und die historische Lüneburger Altstadt, sind nur einen Steinwurf entfernt.

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