Ein Beitrag von Tobias Rehr
Das Mahnmal im Tiergarten – ein Ort der Erinnerung
In Lüneburg wurden im Zweiten Weltkrieg unter der NS-Herrschaft Gräueltaten verübt, an die an unterschiedlichen Orten erinnert wird. So setzt sich etwa die Bildungs- und Gedenkstätte auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik mit NS-Verbrechen im Rahmen des „Euthanasie“-Programms auseinander. Etwas versteckt in einem Waldstück erinnert ein Mahnmal an ein weiteres NS-Verbrechen in Lüneburg. Am Ort eines Massengrabs wird an ein Massaker an KZ-Häftlingen erinnert, das am Ende des Zweiten Weltkriegs von Wehrmachtssoldaten und einem SS-Mann verübt worden war. Im April 1945 fielen insgesamt 244 Menschen diesem Verbrechen zum Opfer.
Rekonstruktion der Ereignisse
Was war am Ende des Zweiten Weltkriegs in Lüneburg geschehen?
Im April 1945 wurde ein Nebenlager des KZ Neuengamme, das Arbeitslager „Alter Banter Weg“ bei Wilhelmshaven geräumt. Da die Front und damit die Befreiung durch die Alliierten näherrückte, wurde die Entscheidung getroffen, das Lager aufzulösen. Etwa 390 kranke und schwache Häftlinge wurden in einem Zug in Richtung Neuengamme transportiert. Die geplante Strecke verlief über Lüneburg.
Der Transport fand stark beengt unter menschenunwürdigen Bedingungen statt: Die Gefangenen wurden auf vier Viehwaggons aufgeteilt. In drei Waggons waren je 110 Häftlinge untergebracht, in der Hälfte eines weiteren 60 Personen. Die andere Hälfte des Waggons war für Begleitpersonal vorgesehen. Den Häftlingen wurde keine Nahrung und kein Wasser zur Verfügung gestellt. Lediglich am Beginn der Reise wurde ein Brotlaib pro Person verteilt. Sanitäre Einrichtungen standen nicht zur Verfügung. Für die Strecke von Wilhelmshaven nach Lüneburg benötigte der Transport aufgrund von Lokomotivwechseln und weiteren Unterbrechungen vier Tage und Nächte.
Einige Häftlinge verstarben bereits unterwegs. Diese wurden nicht begraben, sondern mitgenommen, weil die Zugleitung Wert darauf legte, mit der gleichen Anzahl an Häftlingen wie am Transportbeginn am Ziel anzukommen.
Luftangriff auf Lüneburg
Am 7. April 1945 wurde der Güterbahnhof Lüneburg erreicht. Dort hielt der Zug wegen eines Lokomotivwechsels. Am Tag darauf wurde der Bahnhof jedoch von amerikanischen Bombern angegriffen. Dieses Bombardement stellte den zweiten und letzten Bombenangriff auf Lüneburg im Zweiten Weltkrieg dar. Der erste Angriff erfolgte am 22. Februar 1945 auf östliche Teile der Stadt. Die Lüneburger Altstadt blieb von Bombenangriffen verschont. Das Ziel der Bombardierung war es, die Nachschubversorgung der Wehrmacht zu unterbrechen. Da die Waggons mit den Häftlingen aus der Luft nicht von Versorgungszügen zu unterscheiden waren, wurden auch sie angegriffen. Einer der Waggons erhielt einen direkten Treffer, weitere wurden beschädigt und brannten. Die Waggons wurden während des Bombenangriffs von Wehrmachtssoldaten bewacht, so dass sie für viele Gefangene zur Todesfalle wurden. Bei dem Bombenangriff starben über 70 KZ-Häftlinge.
Die Situation nach dem Angriff war sehr unübersichtlich. Zahlreiche Häftlinge wurden verletzt und hatten nur zum Teil Zugang zu ärztlicher Versorgung. Einige Lüneburger versuchten, den Verletzten zu helfen. Diese humanitäre Hilfe wurde aber zumeist untersagt. Immer wieder wurden Häftlinge willkürlich von Wachmännern getötet.
Die Bombardierung beschädigte das Schienennetz so stark, dass der Zugverkehr zunächst unterbrochen war. Etwa 140 Häftlinge wurden mit Fahrzeugen weitertransportiert. Die übrigen mussten bei kalten Temperaturen auf einem nahe gelegenen Feld ausharren und wurden bewacht.
Jagd auf geflohene Häftlinge
20 Häftlinge konnten jedoch flüchten – in das Rote Feld, in die Innenstadt und in Vororte. Die Lüneburger Gestapo startete daraufhin eine regelrechte Jagd auf geflohene Häftlinge und schaltete am 11. April 1945 einen Aufruf in der Lüneburger Zeitung:
„Achtet auf entwichene KZ-Häftlinge – Lüneburg, 10. April
„Bei einem Angriff feindlicher Flieger auf einen Transport sind Konzentrationsgefangene entflohen. Die Häftlingen befinden sich im Gebiet der Lüneburger Heide. Auch die gesamte zivile Bevölkerung und besonders die Führer der nationalsozialistischen Gliederungen und politischen Leiter werden aufgefordert, sich an der Fahndung nach diesen KZ-Häftlingen zu beteiligen, die bekanntlich besonders zu Diebstahl, Raub, Plünderungen usw. neigen. Sie sind zu stellen und festzunehmen. Für den Fall, daß die Konzentrationsgefangenen sich zur Weh setzen sollten, sind sie unter allen Umständlich unschädlich zu machen. Die Häftlinge sind im allgemeinen an der gestreiften Gefangenenkleidung zu erkennen, wobei aber darauf hingewiesen wird, daß es etlichen gelungen sein könnte, sich andere Kleidung zu beschaffen. Jedenfalls ist anzunehmen, daß sie es bei Einbrüchen besonders auf Zivilkleidung abgesehen haben.“
Quelle: de Vries, Immo (2009): Kriegsverbrechen in Lüneburg. Das Massengrab im Tiergarten. 2. Auflage. Lüneburg: Geschichtswerkstatt Lüneburg e.V., 40.
In welchem Ausmaß Lüneburger Bürger diesem Aufruf nachkamen, kann nicht mehr rekonstruiert werden. Zeugenaussagen legen aber eine teilweise Beteiligung an der Hetzjagd nahe. Insgesamt konnten sich nur zwei Häftlinge aus dem Zug dauerhaft absetzen.
Das Massaker vom 11. April 1945
Nachdem zunächst unklar war, wie mit den verbliebenen Häftlingen weiter verfahren werden sollte, wurden am Abend des 11. Aprils alle noch lebenden Häftlinge auf dem Güterbahnhof erschossen.
Die Opfer der Kriegsverbrechen in Lüneburg
So kamen im April 1945 in Lüneburg 244 KZ-Häftlinge ums Leben. 73 von ihnen wurden bei dem amerikanischen Bombenangriff getötet. Weitere 173 Häftlinge überlebten den Zug nicht. Die meisten fielen dem Massaker vom 11. April 1945 zum Opfer.
Das Massengrab im Tiergarten
Unter Leitung der Lüneburger Polizei wurden die Leichen zunächst verscharrt, um sichtbare Zeichen der Verbrechen zu verbergen, da der Einmarsch der Briten bevorstand. Im Oktober 1945 wurden die Leichname von der britischen Besatzungsmacht umgebettet und an der heutigen Stelle bestattet.In den 1950-er und 1960-er Jahren wurden einige Leichname in ihre Heimatländer überführt.
Heute liegen noch 167 Menschen im Tiergarten begraben.
Das Projekt „Güterwaggon“
Im Aufbau befindet sich ein Berufshilfeprojekt, das die Erinnerung an dieses Massaker stärker in das öffentliche Bewusstsein rücken möchte. Es ist geplant, zwei museal nutzbare Güterwaggons im Wandrahmpark vor dem Lüneburg Museum aufzustellen, die an die Geschehnisse am Ende des Zweiten Weltkriegs in Lüneburg erinnern. Das Konzept wurde in Kooperation vom Lüneburg Museum und der Geschichtswerkstatt erstellt. Das Gros der Kosten übernimmt der EU-Sozialfonds, darüber hinaus sind die Hansestadt und die Sparkassenstiftung finanziell eingebunden.
Weitere Informationen sind auf der Internetauftritt der Geschichtswerkstatt Lüneburg zu finden.
Umgestaltung des Mahnmals Tiergarten
Nach Recherchen des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Ermittlung sowie Zuordnung weiterer Opfer hat die Stadt Lüneburg eine Neugestaltung des Mahnmals Ehrenfriedhof Tiergarten beschlossen. Von Rhododendren überwucherte Grabreihen wurden freigelegt und neu eingefasst, Glastafeln mit den Namen der Bestatteten errichtet sowie Wege und Grünflächen neu angelegt. Auch Informationstafeln sind in Planung, um eine noch intensivere Auseinandersetzung mit der Geschichte zu ermöglichen. Durch die Umgestaltung kann dem Mahnmal die nötige Würde als Ort des Gedenkens erwiesen werden.
Die offizielle Einweihung des umgestalteten Mahnmals im Mai 2020 musste aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. Weitere Informationen und erste Fotos der Neugestaltung erhalten Sie hier.
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