Ein Beitrag von Noemi Garay Murcia und Nina Glaab
In guter Nachbarschaft: regional, nachhaltig, weltoffen
Ein Name, der den Leser stutzen lässt: Kultur und Bäckerei – wie passt das zusammen? So verwirrend die Paarung zunächst scheint, im Fall der KulturBäckerei könnte sie treffender nicht sein. So viel sei vorweg genommen: Es handelt sich um eine ehemalige Bäckerei in der statt Brot nun geistige Nahrung, nämlich Kultur in ihren verschiedensten Variationen ‘gebacken’ wird. Ein für Lüneburg bedeutungsvoller und geschichtsträchtiger Ort, dessen neues Konzept in ganz Niedersachsen seines Gleichen sucht. Hier findet die Kunst des Brotbackens eine neue Bedeutung. Willkommen in der KulturBäckerei!
Die KulturBäckerei stellt sich vor
Mit der Eröffnung der KulturBäckerei im Oktober 2014 entstand im Nordosten Lüneburgs eine außergewöhnliche Kultureinrichtung. Das Gemeinschaftsprojekt der Stadt Lüneburg, der Sparkassenstiftung Lüneburg und regionalen Kreativschaffenden, versteht sich als gemeinnützige Initiative. Die Beteiligten möchten damit Künstlerinnen und Künstler fördern und das Wohlergehen der Lüneburger Bevölkerung und seiner Gäste sichern. Die KulturBäckerei ist ein offenes Haus, welches eine Vielfalt von künstlerischen Sparten unter einem Dach beherbergt. Auf etwa 1500 Quadratmetern verteilen sich zwölf Ateliers, eine Theaterbühne, die Kunstschule IKARUS e. V., ein großer Veranstaltungssaal sowie das Büro der Sparkassenstiftung.
Neue Ideen in alten Mauern
Ein Blick in die Vergangenheit des Geländes der KulturBäckerei verrät einiges über die Militärgeschichte Lüneburgs. Bereits im 14. Jahrhundert wurde Lüneburg zur Garnisonsstadt. Die erste Kaserne, die Lüner Kaserne, wurde im Jahr 1828 errichtet. Im Zuge der Aufrüstung und Ausdehnung des Heeres im Nationalsozialismus kamen in den 1930 Jahren die Schlieffen-, die Scharnhorstkaserne und die Theodor-Körner-Kaserne (frühere Fliegerhorstkaserne) hinzu. 1936, demselben Jahr, in dem man Lüneburg zur Hauptstadt des Gaus Osthannover erklärte, wurden schließlich die Speichergebäude des Heeresverpflegungsamtes erbaut. Das Gelände, mit Zugang über die Rabensteinstraße, diente seither der Versorgung der Armee. In der Heeresbäckerei, dem aktuellen Gebäude des Kulturzentrums, wurde einst das sogenannte Kommissbrot für die in Lüneburg stationierten Soldaten gebacken. Daneben umfasste das Areal des Heeresverpflegungsamtes ein Verwaltungsgebäude, vier Bodenspeicher, fünf Rauhfutterscheunen, eine Bodenwaage mit Wiegehaus, Garagen und eine alte Baracke. Vom nahegelegenen Bahnhof aus konnten die Kornspeicher von Getreide beladenen Eisenbahnwaggons angefahren werden. Ab 1957 befand sich auf dem Gelände der Sitz der Standortverwaltung der Bundeswehr und die ehemalige Heeresbäckerei wurde als Lager umfunktioniert. Mit der mehrheitlichen Schließung der Kasernen ab 1990 und der Abgabe der Standortverwaltung begann die kommunalpolitische Diskussion über die Verwendung der leerstehenden Gebäude. Sollten die alten Bauten trotz ihres guten Zustandes abgerissen werden, um Platz für Neues zu schaffen? Oder könnte nicht gerade der industrielle Charakter der Speichergebäude, die an alte Zeiten erinnern, zu neuen Projekten inspirieren? Die Entscheidungsträger schienen lange Zeit uneinig.
Inzwischen war die Leuphana Universität auf das Gelände der ehemaligen Scharnhorstkaserne gezogen. In der alten Schlieffen-Kaserne wurde ein Behördenzentrum eingerichtet. Nach etwa zehn Jahren der privaten Zwischennutzung wurde nun auch für das Gelände der früheren Standortverwaltung eine geeignete Verwendung gefunden. Im Zuge des Stadtentwicklungsprojektes ‘Hanseviertel’ entsteht seit 2010 auf dem Areal der Schlieffen-Kaserne ein neuer Stadtteil mit modernen Wohnungen und Gewerbeflächen. Die ursprünglichen Speichergebäude, die südlich an das Neubaugebiet angrenzen, wurden in das Förderprojekt integriert und sind seither unter dem Namen ‘Speicherquartier’ bekannt. Mit den Projekten ‘Hanseviertel’ und ‘Speicherquartier’ beabsichtigt die Stadt Lüneburg die Anbindung des Lüneburger Ostens an die Kernstadt. Zwei der Kornspeicher konnten erhalten bleiben und dienen seit 2013 als Wohngebäude und Gewerberaum. Eine Umnutzung der alten Heeresbäckerei als Kunsteinrichtungen würde das neue Viertel als Mischgebiet zum Wohnen, Arbeiten und für Freizeit komplettieren, so der Konsens in der Sitzung des Kultur- und Partnerschaftsausschuss und des Ausschuss für Bauen und Stadtentwicklung über die vorgelegte Planung der Sparkassenstiftung und der Lüneburger Wohnungsbau GmbH (Lüwobau).
Für die Sanierung hat die Hansestadt Lüneburg das Gebäude für einen symbolischen Euro an die Lüwobau verkauft. Die Renovierungsarbeiten, wie die Erneuerung des Daches, beliefen sich auf eine Summe von etwa drei Millionen Euro und wurde durch Mittel der Städtebauförderung finanziert. Hinzu kamen rund fünfzigtausend Euro für die Innenausstattung, die nicht förderungsfähig war. Bei der Umgestaltung des Innenraumes wurde darauf geachtet, dass die Räume mit einer größtmöglichen Flexibilität genutzt werden konnten. Auch die Erfahrungswerte der künftigen Künstlerinnen und Künstler waren gefragt, um bedarfsgerechte Ausstellungs- und Produktionsflächen zu schaffen. Die alten Backöfen im großen Veranstaltungssaal blieben erhalten. Mit dem Abschluss der Arbeiten im Jahr 2014 erstrahlte die ehemalige Heeresbäckerei in alter Fassade und neuem Inhalt (vgl. ebd.).
Innovative Konzepte der Zusammenarbeit
Die Sparkassenstiftung übernahm fortan die Leitung des Projektes und wurde Mieter sowie Betreiber der KulturBäckerei. Somit trägt sie die Verantwortung für Instandhaltung und Betriebskosten der öffentlichen Räume. Unter der Prämisse größtmöglicher Vielfalt, wählte eine Jury, bestehend aus Vertretern der Kulturpolitik, des Stiftungsvorstandes und -rates, die Bewerber anhand ihrer Kunstform, ihres Alters und Geschlechts aus. Einzelkünstler und Künstlergruppen aus den Bereichen Malerei, Schmuck- und Modedesign, Restauration, Bildhauerei, Grafik und Fotografie, vier professionelle und ein Amateurtheater, und die Kunstschule für Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung IKARUS e. V. bilden nun das Team der KulturBäckerei unter der Verwaltung der Sparkassenstiftung. Die Räume werden von den Kunstschaffenden für unbefristete Zeit angemietet. Als Betreiber des Hauses gibt die Sparkassenstiftung gewisse Richtlinien, wie zum Beispiel die allgemeine Hausordnung, vor und es gibt einen Mieterbeirat mit Vertretern aus dem Künstlerkreis und Vertretern der Sparkassenstiftung. Daneben gibt es seit April 2015 den Verein KulturBäckerei, der als Interessengemeinschaft der Kunstschaffenden und externen Kunstinteressierten verstanden wird.
Regional, nachhaltig und weltoffen
Von der neuen Institution sollen Kunstschaffende und Publikum gleichermaßen profitieren. Angeregt durch Hamburger Künstlerinnen und Künstler und den beiden Künstlereinrichtungen Atelierhaus23 und KOPPEL 66 wurde das Konzept der ‘offenen Ateliers’ erarbeitet. Wo andernorts im Rahmen von ‘Tagen der offenen Ateliers’ mit exklusiven Einblicken in die Kreativarbeit geworben wird, ist Offenheit in der KulturBäckerei tägliches Programm. Kunst wird nicht mehr hinter verschlossenen Türen produziert. Vielmehr suchen die Künstlerinnen und Künstler den Dialog untereinander und mit den Besuchern. Die Produktionsräume dienen den Kreativschaffenden als Künstlerwerkstatt, Verkaufsraum und Kunstvermittlungsplattform zugleich.
Es sind die Vielfalt der Mieter und die Offenheit des Hauses, die die KulturBäckerei auszeichnen. Der Besucher kommt nicht umhin, beim Gang durch das Gebäude immer wieder stehen zu bleiben und neugierig durch jede Glastür in die unterschiedlichsten, kunterbunt gestalteten Atelierräume zu spähen. Das Verhältnis zwischen den ‘Mitbewohnern’ ist spürbar herzlich. Man besucht sich gegenseitig, arbeitet an gemeinsamen Projekten und Ausstellungen. In dieser kommunikativen Atmosphäre führt sich auch der Gast wohl. Der KulturBäckerei ist es gelungen, ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der Inspiration zu sein. Alle Vereinsmitglieder beteiligen sich aktiv am Veranstaltungsprogramm des Hauses. Sie nutzen die eigenen Netzwerke, um externe Künstlerinnen und Künstler für Ausstellungen zu gewinnen.
Mit ihrem Konzept möchten die Akteure der KulturBäckerei ihr Umfeld zu kulturellem Engagement ermutigen, die Lüneburger Kulturlandschaft fördern sowie das Lüneburger Kulturangebot über die Stadtgrenze hinaus bekannt machen.
Ein Besuch in der KulturBäckerei
Der kurze Weg vom Lüneburger Bahnhof macht sich bezahlt: Bereits im Innenhof der KulturBäckerei kommt dem Besucher ein verlockender Duft entgegen. Einige Meter vor dem Eingang, von einer langen Schlange wartender Menschen halb verdeckt, werden Bio Burger aus einem bunt-beleuchteten Wohnwagen im Retrostil verkauft.
Im Inneren des Gebäudes herrscht reger Betrieb. Studenten, Familien, Künstlerinnen und Künstler, nicht nur aus der Nachbarschaft, auch aus dem Umland, sind hier zusammen gekommen. An den vielen Marktständen bewundern die Besucher kulinarische Spezialitäten und können sich kaum entscheiden, wovon sie zuerst kosten möchten. Natürlich stammt hier alles aus der Region, von selbstgebrannten Gin- und Wodkaspezialitäten, über Marshmallows aus eigener Herstellung bis hin zu Chiliprodukten aus der Lüneburger Heide.
Auf einer Bühne spielt live Musik, an den Tischen wird sich unterhalten und gelacht. Auch die Ateliers sind geöffnet. Besonders beliebt bei den Besuchern ist die Mode aus ökologischen Materialien und nachhaltiger Produktion, deren Designerin im letzten Jahr einen Preis auf der Berlin Fashion Week gewann. In einem Atelier im ersten Stock kann einer Schmuckdesignerin bei ihrer Arbeit zugesehen werden. Die Stimmung und die Besucherzahlen sprechen für sich – die Veranstaltung ist ein voller Erfolg.
Der Markt ‘Kunst & Genuss’ findet in unregelmäßigen Abständen mit wechselnden Ausstellern auf dem Gelände des Kulturzentrums statt. Er ist ein Beispiel für die gelungene Umsetzung der Leitmotive der KulturBäckerei. Der Markt ist zu einem Treffpunkt für die Nachbarschaft geworden. Darüber hinaus bietet die Veranstaltung der regionalen Kunst und Wirtschaft Raum sich zu präsentieren sowie mit Besuchern aus dem Umland in Kontakt zu treten. Informationen zum nächsten Termin sind hier zu finden.
Ein überzeugendes Beispiel für die Arbeit im Bereich der Kunstpädagogik und Kunstvermittlung der KulturBäckerei ist die ‘Interkulturelle Kreativwerkstatt’. Im Rahmen des Projekts bietet die Kunstschule IKARUS e. V. mit Unterstützung der Sparkassenstiftung kostenlose Kurse für Flüchtlinge, vor allem aus der benachbarten Flüchtlingsunterkunft im Meisterweg, an. Die beteiligten Akteure beweisen soziales Engagement, welches auch das Nachbarschaftsverhältnis stärkt.
Zu den weiteren Veranstaltungen der KulturBäckerei gehören Theateraufführungen, Konzerte, Lesungen und öffentliche Diskussionen. Sowohl in der Kunsthalle der Sparkassenstiftung als auch im Artrium finden regelmäßig wechselnde Ausstellungen regionaler sowie überregionaler Künstlerinnen und Künstler statt.
Ein voller Erfolg
Nach dem ersten Geburtstag der KulturBäckerei fällt das Fazit der Sparkassenstiftung mehr als positiv aus:
„Die Resonanz im ersten Jahr war überwältigend. Das offene Konzept kommt gut an, der direkte Kontakt zu den Künstlerinnen und Künstlern in den Ateliers und die Veranstaltungen, wie die Kunst & Genussmärkte oder der erste Geburtstag der KulturBäckerei, bei denen zwischen 2000 und 3000 Interessierte die KulturBäckerei besuchen. Es gab Lesungen, Konzerte, Vorträge, Tanz und natürlich die wechselnden Ausstellungen, von Fotografie über Textilkunst bis Videoinstallation war alles dabei.“
Um neue Ideen zu gewinnen ist die KulturBäckerei stets um Kooperationen mit anderen Lüneburger Kultur- und Sozialeinrichtungen bemüht. Es wurden daher beispielsweise Gemeinschaftsprojekte mit dem Literaturbüro oder der Flüchtlingsunterkunft im Meisterweg organisiert. In Zukunft ist zusätzlich ein intensiverer Austausch mit umliegenden Städten geplant.
Das neue Kulturzentrum im Speicherquartier ist für alle ein Gewinn. Unter den Einwohnern Lüneburgs ist die KulturBäckerei eine beliebte Freizeitstätte geworden. Immer mehr Besucherinnen und Besucher von außerhalb finden ihren Weg in Lüneburgs Nordosten. Die beteiligten Künstlerinnen und Künstler sind von dem Konzept überzeugt. Die Mischung aus Bildungszentrum, Kunstproduktionsstätte und Verkaufsplattform macht die KulturBäckerei für sie zu einem idealen Arbeitsplatz. Zudem bietet ihnen das Netzwerk der Sparkassenstiftung die Möglichkeit, eigene Kunstwerke auch an anderen Orten in der Stadt zu präsentieren. Schließlich wird der große Veranstaltungssaal gerne von externen Veranstaltern genutzt. Dort tagen beispielsweise die Landfrauen und es findet die jährliche Meisterfeier der Metallschule statt. Die Stadt hat mit der KulturBäckerei eine neue Kultureinrichtung gewonnen, die die ohnehin schon sehr gut aufgestellte Lüneburger Kulturlandschaft komplettiert.
Von der Bahnhofstraße zur KulturBäckerei sind es etwa dreizehn Gehminuten. Mit seinen Grünflächen, guten Parkmöglichkeiten und einem Café im Nachbargebäude der KulturBäckerei lädt auch der Rest des Speicherquartiers zum Verweilen ein.
Sehr geehrte Frau Murica, sehr geehrte Frau Glaab,
erst durch Zufall, bin ich heute auf Ihnen Artikel aufmerksam geworden. Als ein Verteter eines der Theater, die regelmäßig in der Kulturbäckerei arbeiten, erlaube ich mir Sie auf einen Fehler aufmerksam zu machen.
Sie sprechen in ihrem Artikel von „vier professionellen Amateur und Laientheatern“. Das ist, so formuliert, natürlich ein Widerspruch und trifft auch nicht die Tatsachen.
Zu den regelmäßig in der Kulturbäckerei arbeitenden Theatern gehören, zur Zeit, vier professionelle und ein Amateurtheater.
Vielleicht, können Sie das bei Gelegenheit korrigieren. Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Flocken
Guten Tag Herr Flocken,
vielen Dank für den Hinweis! Wir haben den Text entsprechend angepasst.
Mit vielen Grüßen aus der Redaktion,
Inga Luchs