Ein Beitrag von Mira Linzenmeier und Monja Langemeyer
Am Sande – Architekturgeschichte im Herzen Lüneburgs
Wer Lüneburg besichtigt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu Beginn des Besuchs über den zentralen Stadtplatz Am Sande flanieren. Als einer der ältesten Plätze Lüneburgs ist dieser geprägt durch gut erhaltene architektonische Zeugnisse unterschiedlicher Stilepochen und bietet heute Passanten viele Einkaufsmöglichkeiten, Gaststätten und Hotels. Gleichzeitig bildet Am Sande den Knotenpunkt des städtischen Busverkehrssystems. Um Ihnen die Schönheit des Platzes in seiner Gänze, aber auch im Detail näherzubringen, haben wir einen Rundgang erstellt, der Ihnen die Geheimnisse der Lüneburger Baukunst offenbaren soll. Von der Gotik, über die Renaissance bis zum Barock wird Sie der Platz als Ort der Geschichte auf eine Zeitreise durch die Jahrhunderte entführen.
Ursprüngliche Nutzung und Entwicklung des Platzes
Der Platz ist im Westen durch das Gebäude der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg (IHK) abgeschlossen und fällt nach Osten hin, über eine Länge von 275 Meter, um 5 Meter ab. Somit läuft dieser auf die Westwand der imposanten Backsteinkirche St. Johannis zu, welche wir bei unserem Rundgang noch genauer betrachten werden.
Seine Anfänge hat Am Sande im 9. Jahrhundert. Mit dem sandigen, unbefestigten Untergrund lag der Platz an der Wegekreuzung der drei Siedlungszellen Lüneburgs Mons, Pons und Fons (zu Deutsch: Berg, Brücke und Quelle), welche heute noch als Stadtmarke Lüneburgs gelten. Mons (die Siedlung am Kalkberg), Fons (die Saline) und schließlich Pons – das zuerst Furten- und schon bald Brücken-Dorf Modestorpe. Das Wort Torpe stammt aus dem Mittelenglischen von dem Wort Thorpe: kleines Dorf. Modestorpe hatte seinen Ursprung als Furtsiedlung mit einer Taufkirche an der Ilmenau und war als sogenanntes Sandviertel auf sicherem Untergrund gebaut, wodurch es in der Geschichte des Platzes nie zu größeren Katastrophen durch Bodenabsenkungen kam, wie es in anderen Teilen Lüneburgs der Fall war – und bis heute der Fall ist.
Nachdem Lüneburg um 1322 mit einem staatlichen Salzmonopol ausgestattet wurde, entwickelte sich der Platz Am Sande zum Herzstück der rasant wachsenden Handelsstadt. Der Platz wurde zum Durchgangshandelsmarkt, auf welchem die Verbindungswege der drei Ur-Siedlungen über die heutigen Straßen Heiligengeiststraße, Grapengießerstraße/Auf der Altstadt und Bei der Johanniskirche aufeinandertreffen und zugleich von Verkehrswegen nach Norden und Süden gekreuzt werden. Auf dem Platz selbst wurden verschiedene Waren gehandelt und die Fahrzeuge und Salzfuhrwerke der Kaufleute abgestellt, während die Nebenstraßen den Händlern Unterkünfte und Einkehrmöglichkeiten boten. Der Platz konnte seine zentrale Funktion im städtischen Leben über die Jahrhunderte bewahren: als Empfangsplatz für Besucher mit Hotels und Gastronomie und sogar bis 1993 in der Funktion als Parkplatz und Straße. Danach wurden die Bürgersteige verbreitert, der Platz verkehrsberuhigt und ein neues Verkehrskonzept für den öffentlichen Nahverkehr implementiert.
Das „steinreiche” Lüneburg
Die Pracht des Platzes spiegelt wider wie “steinreich” Lüneburg durch sein Salzmonopol war, denn die übliche Bauweise des 13. Jahrhunderts war das Fachwerkhaus. Nur wer über viel Geld verfügte, konnte es sich leisten, sein Haus aus gebrannten Ziegeln zu bauen und so seinen Wohlstand nach außen zu repräsentieren.
Doch wer Lüneburg als eine “Stadt der Backsteingotik” bezeichnet, sollte aufpassen! Der Architekturstil der Gotik (ca. 1250 – 1500) ist zwar prägend für die Anfänge der Backsteinbauten in Lüneburg um 1300, jedoch sind nur noch wenige Gebäude in ihrem ursprünglichen Stil erhalten, da sich diese über die Jahrhunderte den Bedürfnissen ihrer Bewohner und den Moden der Zeit angepasst haben. Bezeichnend für die Gotik war das Denken in Räumen und nicht in Achsen, wie zu Zeiten des Barock. Die gotische Grundidee ist heute noch in der Konzeption und Wirkung des Platzes Am Sande und der Platzierung der St. Johanniskirche erkennbar. So liegt die Kirche St. Johannis nicht in der mittigen Platzachse, sondern im Zug seiner südlichen Grenze.
Die Lüneburger Baukunst
Die Baukunst einer Stadt spiegelt immer auch die Bedingungen ihrer Umwelt wider. Verbaut wurden jene Materialien, die verfügbar waren. In Lüneburg waren diese Baustoffe aus der angrenzenden Umgebung begrenzt: es gab Eichenholz und Granitblöcke, welche als Fundament dienten, und es gab Lehm oder Ton, welche als gebrannte Ziegel in den unterschiedlichsten Formen für das Mauerwerk, Fußböden und die Dachdeckung verwendet wurden. Doch der Weg zur Backsteinbauweise in Lüneburg war steinig, beziehungsweise ganz im Gegenteil: Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts wurde in Lüneburg vorwiegend in der weniger stabilen und brandanfälligen Fachwerkbauweise gebaut. Erst im Jahre 1282 findet man erstmals die Erwähnung einer Ziegelei in Lüneburg, nachdem sich die Stadt an ihren Partnern in der Hanse orientierte. In anderen Hansestädten, wie Lübeck, war der Ziegelbau schon längst zur Reife gelangt, als dieser in Lüneburg noch in den Anfängen steckte. So ähnelt die Stadt in ihrem baulichen Backsteingesicht, welches die Fassaden vieler Bürgerhäuser und Gemeinschaftsbauten prägt, heute noch immer einigen anderen Städten im Norden Deutschlands, wie Wismar oder Stralsund, und darüber hinaus den Städten in weiten Teilen Europas, die zum mittelalterlichen Hansebund gehörten, sofern deren Stadtkerne nicht (insbesondere im Zuge von Kriegen) zerstört wurden.
Die Vielfältigkeit des Backsteins
Für die alte, traditionelle Verfahrensweise zur Herstellung von Ziegeln wurde lehmhaltiger Ton in Holzformen gestrichen und anschließend gebrannt. So war es möglich Steine in regelmäßiger Größe zu produzieren, was den Bau fugenrechten Mauerwerks ermöglichte. Ziegelsteine, die für den Bau von Mauerwerk genutzt werden, nennt man auch Backstein. Solche Ziegel, die vor der industriellen Herstellung gebrannt wurden, erkennt man an ihren Materialeigenschaften. Achten Sie bei Ihrem Besuch von Lüneburg einmal darauf! Handgebrannte Ziegel haben keine gleichmäßige Oberflächenstruktur und schwanken in ihrer Farbigkeit. Je nach Zusammensetzung des Tons ergibt sich eine weite Farbskala von Gelb, Ziegelrot über Dunkelbraun und Violett – so sind die Backsteinbauten in Rostock eher blass gelblich und in Wismar eher braun-rot. Auch die Schwankung der Brenntemperaturen eines per Hand kontrollierten Feuers bildet sich ab: Je höher die Temperatur, desto dunkler der Stein.
Neben dem klassischen quaderförmigen Backstein ist auch der sogenannte Formstein ein zentrales Element der Backsteinarchitektur. Dieser weicht ab von der Quaderform und präsentiert sich in einer reichen Formenvielfalt, wie der eines Kreuzes oder eines Halbrunds, um beispielsweise Tür- und Fenstereinfassungen zu verzieren. Diese besonders schönen Ziegelsteine unterliefen einem strengen Ausleseverfahren durch die Ziegelmeister und mussten mit deren Siegelstempel als Gütezeichen versehen sein. Auch der Taustein zählt zu den Formsteinen. Er tauchte gegen 1500 in Lüneburg auf, d. h. mit der Architekturepoche der Renaissance (ca. 1500 – 1600), und beherrschte bald die bauliche Gestaltung in Lüneburg. Es wird sogar vermutet, dass diese Art von Formstein eine Lüneburger Schöpfung ist. Bei dem Taustein wird die Form eines gedrehten Taus auf Backstein übertragen. Dieser schlingt sich sodann an den Häusern als Rahmen um Blendnischen, Wappen und Fenster. Solche Ziegel zur dekorativen Verwendung wurden oftmals mit einer Glasur aus einer leicht schmelzbaren Blei- oder Zinnlösung vollendet, welche nach dem ersten Brennvorgang aufgetragen wurde, um danach ein zweites Mal gebrannt zu werden. Im Mittelalter ähnelte diese Glasur lediglich einem leichten Schimmer, später, im Laufe des 16. Jahrhunderts, wurde die Glasur hingegen dickflüssiger, dunkler und kaum durchsichtig, sodass die glasierten Steine zur Hervorhebung besonderer Gebäudeteile genutzt wurden, wie beispielsweise für Giebel. Diese Besonderheiten werden Ihnen auch während des architektonischen Rundgangs ins Auge fallen. Und wenn Sie danach noch nicht genug von Backsteinen haben, können Sie die kunstvollen Steine mit ihren Siegelstempeln in der Formstein- und Ziegelsammlung des Museums Lüneburg noch einmal aus der Nähe betrachten und sich über die Bedeutung des Rohstoffs Ton für Lüneburg informieren.
Die Bürgerhäuser von Lüneburg
Bis in das 16. Jahrhundert war die Baukunst anonym, Namen von Architekten oder Baumeistern waren irrelevant. So sind auch die Erbauer der Bürgerhäuser des Platzes Am Sande noch heute unbekannt. Als Bürgerhaus bezeichnet man ein repräsentatives Wohnhaus, welches sich – im Gegensatz zur Villa – in einer städtischen Umgebung befindet und daher lückenlos an benachbarte Gebäude anschließt. Diese Häuser vereinten im Mittelalter Wohn- und Gewerberäume unter einem Dach. Im Gegensatz zur heutigen Zeit durften sich im Mittelalter nur wenige Menschen “Bürger” nennen und nur diese waren rechtlich vollgültige Bewohner der Stadt. Die vermögenden Kaufleute von Lüneburg konnten sich den Besitz eines Grundstückes innerhalb der Stadt leisten und mit der Entwicklung des Bürgertums sollte auch ihr Wohlstand nach außen repräsentiert werden. So zeigen die Lüneburger Baudenkmäler die Züge verschiedener Epochen und die Elemente der architektonischen Stile vermischen sich. Die ältesten, noch erhaltenen Häuser Am Sande stammen in ihrer Anlage aus der Zeit um 1400 als der Ziegelbau begann, wurden jedoch in ihrer Struktur fortan weiterentwickelt. Die ständige Veränderung einer lebendigen Stadt machte auch vor Bürgerhäusern nicht halt, und so weisen diese Gebäude die Merkmale der sich wandelnden Lebensansprüche von über vier bis fünf Jahrhunderten auf. Mit zunehmendem Wohlstand wurden Häuser angebaut, erweitert, neu errichtet oder auch nur die straßenwärtige Schaufassade der jeweils aktuellen „Architekturmode“ angepasst, bei späterer Verarmung und einer Abwanderung der wohlhabenden Bürger vor die Stadt wurden die Bürgerhäuser in kleinere Wohneinheiten neu unterteilt.
Das Lüneburger Bürgerhaus entwickelte sich aus dem niedersächsischen Bauernhaus, welches ein gestrecktes, rechteckiges Einraumhaus mit dem Eingang mittig an der schmalen Seite war. Die Bürgerhäuser hatten allerdings ganz andere Funktionen als ein Bauernhaus, sodass die Häuser mehrstöckig wurden. Typisch für das spätmittelalterliche Lüneburger Bürgerhaus ist die Verbindung von Wohn- und Speicherraum unter einem Dach. Im untersten Stockwerk befand sich eine um die fünf Meter hohe Diele, welche den Handels- und Wohnbetrieb beherbergte. Die großen Fenster in den erkerartigen Anbauten im unteren Stockwerk einiger Häuser Am Sande, sogenannte Utluchten, sind keineswegs typisch. Sie wurden erst in der Barockzeit und teilweise noch später eingesetzt, als die Produktion von größeren Glastafeln günstiger wurde. Die Speicherräume befanden sich in dem darüber liegenden Geschoss, auch Lucht genannt, welches später im 16. Jahrhundert auch teilweise als Wohnraum genutzt wurde, sowie unter dem steilen Dach. In diese Geschosse wurden die Waren meist mit einer Kranwinde durch eine Luke transportiert.
Architektonischer Rundgang über den Platz Am Sande
Wir laden Sie nun ein auf einen Rundgang um den Platz Am Sande, bei welchem wir Sie an den schönsten und spannendsten Gebäuden vorbeiführen werden. Bei genauem Hinsehen werden Sie sicherlich viele der Merkmale und Besonderheiten entdecken, die im vorangegangenen Teil beschrieben wurden. Viel Spaß!
Hauptkirche St. Johannis
Wir starten den Rundgang an der Hauptkirche St. Johannis, am östlichen Ende des Platzes, mit einem der ältesten Backsteingebäude der Stadt. Dieses wurde als Zentrum der Siedlung Modestorpe im Jahr 1370 fertiggestellt und ist heute eine der ältesten Taufkirchen Niedersachsens. Mit ihrem knapp 109 Meter hohen Kirchturm sticht sie am Ende des Platzes ins Auge. Die Kirche ist die am besten erhaltene der drei mittelalterlichen Kirchen Lüneburgs und wurde zunächst als dreischiffige Hallenkirche errichtet, die später auf fünf Schiffe erweitert wurde.
Eine große Besonderheit des Lüneburger Kirchenlebens in St. Johannis stellt das seit 1406 existierende Patronatsrecht dar. Danach obliegt es dem Stadtrat, einen Pastor auszuwählen und einzusetzen und nicht, wie in anderen Gemeinden üblich, der Kirche. Neben der Johanniskirche standen auch alle anderen Gotteshäuser – ausgenommen der Klosterkirchen – unter der Obhut des Rates. Einzig die St. Johanniskirche war mit dem Pfarrrecht ausgestattet, sodass die anderen Lüneburger Kirchen ihr als „Kapellen“ untergeordnet waren. Ein weiterer Höhepunkt an dieser Station des Rundgangs ist einer der letzten Turmbläser Deutschlands. Allmorgendlich, um kurz vor 9 Uhr, lässt dieser durch sein Flügelhorn einen Choral von einem Fenster des Glockenturms aus ertönen. Weitergehende Informationen rund um die Kirche finden Sie vor Ort im Museum St. Johannis.
Am Sande 18
Im Uhrzeigersinn gehen wir nun weiter zu Am Sande 18. Wie in der Inschrift vermerkt, stammt das dreigeschossige Gebäude aus dem Jahre 1711. Es handelt sich somit um ein Gebäude aus der Zeit des Spätbarocks bzw. Rokoko (1700 – 1780), in welchem heute die Landeszeitung für die Lüneburger Heide ihren Sitz hat, trägt aber in seiner Fassadengliederung, dem Eingangsportal und seiner Traufständigkeit bereits frühklassizistische Züge (Klassizismus ca. 1780 – 1830). Traufständigkeit bedeutet, dass Traufe und Dachfirst des Hauses parallel zur Straße stehen. Charakteristisch sind zudem das Walmdach, welches eine Bedachung mit vier Dachflächen bezeichnet, die am Dachfirst zusammenlaufen, sowie eine axiale Anordnung der Fenster, welche durch gestalterisch hervorstechende Rahmen betont werden. Die Inschrift Meliorem Spero über dem Eingang bedeutet so viel wie Besser als Hoffnung.
Am Sande 9
Wenige Meter entfernt befindet sich Am Sande 9, in dem früher das Hotel Wellenkamp untergebracht war und heute das Restaurant Piccanti seine Gäste bewirtet. Das aus der Neugotik stammende Gebäude wurde zu Beginn der 1860er Jahre erbaut, gehört damit zur Gründerzeit (ca. 1830 bis zum Ersten Weltkrieg) und weist verschiedene interessante Details auf. Die 1859 vollendete Fassade etwa trägt durch die Nachahmung eines Staffelgiebels das Gewand eines gotischen Bürgerhauses. Durch diese Gestaltung wird das Motiv der benachbarten Dachgiebel aufgenommen, wobei sich jedoch Unterschiede in der breit gelagerten, mit Gurtgesimse versehenen Wandgliederung finden. Auffällig ist zudem der außergewöhnliche Figurenschmuck. Dieser zeigt vollplastische Köpfe deutscher Renaissancekünstler: Albrecht Dürer (links), Bronzegießer Peter Fischer (rechts) und August Wellenkamp (Architekt und Kunstliebhaber).
Für die Gründerzeit ist der Historismus kennzeichnend. In dieser Zeit wurden bauliche Elemente vorangegangener Stilepochen aufgegriffen, was dann als Neogotik, Neorenaissance, Neobarock oder Neoklassizismus bezeichnet wird. Vor allem der Neoklassizismus ist vom „echten“ Klassizismus auf Anhieb oft nur für den Architekturkenner zu unterscheiden. Nicht selten wurden auch Stilelemente in gemischter Form verbaut, was der Gründerzeit auch mit einem gewissen abfälligen Unterton die Beschreibung als „Karneval der Stile“ eintrug.
Am Sande 8
Gleich nebenan findet sich Am Sande 8, das aus einem spätmittelalterlichen Giebelhaus als Haupthaus (rechts) und einem Nebenhaus (links) besteht. Die reiche Verwendung des Tausteins und die überwiegend vertikale Struktur lassen auf eine Erbauung um 1500 schließen. Die horizontale Betonung durch hell verputzte Bänder – besonders breit und damit gut erkennbar am Haupthaus unterhalb des Kranbalkens – zeigt aber schon die Wende zur Renaissance (ca. 1500 – 1600) an. Ein weiterer Hingucker ist der bronzefarbene Türklopfer aus dem 15. Jahrhundert mit stilisiertem Löwenkopf, umgeben von einer Weinranke mit Blättern und Früchten. Dieser hat einen Durchmesser von 40 cm und steht beispielhaft für die reiche kunsthandwerkliche Bearbeitung der Bürgerhäuser.
Am Sande 6/7
Das Haus rechts von Nr. 8 (Am Sande 6/7) hat ebenfalls einen siebenstufigen Staffelgiebel, zeigt hingegen schon eine besondere Gewichtung des Horizontalen und markiert somit endgültig den epochalen Übergang von der Spätgotik zur Renaissance.
Am Sande 1: Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg
Gegen Ende des architektonischen Rundgangs blickt man auf das wohl prägnanteste Gebäude des Platzes. Der heutige Sitz der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg blickt auf eine lange Geschichte zurück und beeindruckt durch seine prunkvolle Renaissancefassade aus dem Jahre 1548. Durch eine schrittweise Reduktion der tektonischen Form und die Abkehr von einer gegen Himmel (zu Gott) ausgerichteten Architektur zugunsten einer gesteigerten dekorativen Repräsentation steht nun die reine Ästhetik im Vordergrund. Diese ist für die Folgezeit nach der Gotik typisch und findet sich hier zunächst im Detail wieder: Wie anfangs bereits erwähnt, tauchte der typisch gedrehte Formstein – der Taustein – gegen 1500 während der Renaissance erstmalig auf und entwickelte sich in der Folgezeit zu einem bekannten Merkmal. Darüber hinaus fallen breite horizontale Putzbänder in Verbindung mit bunt glasierten runden Medaillons an der Längsseite zur Grapengießerstraße (auf das Gebäude blickend linksseitig) auf, zwischen welchen sich senkrechte Pfeiler von Geschoss zu Geschoss versetzen. Gut zu erkennen ist hier die Betonung der dekorativen Spätform des Staffelgiebels. Bemerkenswert ist des Weiteren die Farbe der verbauten Steine. Diese sind schwarz geschlämmt, die horizontalen Bänder sind weiß gekalkt.
In den Räumlichkeiten befanden sich ursprünglich verschiedene Einzelhandelsgeschäfte, während der 1930er Jahre wurde das Gebäude vorübergehend zum Sitz unterschiedlicher Banken und der Verbrauchergenossenschaft, seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist es bis heute Standort der IHK mit modernem Anbau von Seminar- und Empfangsräumen.
Am Sande 53
Das letzte Gebäude dieses Rundgangs ist Am Sande 53. Das um 1400 erbaute Bürgerhaus weist den für Lüneburg charakteristischen mehrstaffeligen Treppengiebel auf. Der hier zu sehende Giebel stammt aus der Blütezeit der gotischen Baukunst kurz nach 1400. Dabei fällt die konsequent senkrechte Gliederung, welche das Obergeschoss (Lucht) mit einbezieht, auf. Im 16. Jahrhundert wurden die Giebel durch Tausteine erneuert, wobei die linke Staffel noch straffe Profile der gotischen Formsteine aufweist. Anstelle der Fenster waren früher dunkle Eichenholzluken eingesetzt. Der an diesem Gebäude befindliche Giebel ist heute beispielhaft für die einstige Bebauung des gesamten Platzes. Eine weitere Besonderheit ist der sichtbare Hebebalken, der ehemals unverzichtbar für den Betrieb eines Speichers und die Lagerfunktion eines Hauses war. Hier wird ersichtlich wie Wohn- und Arbeitsbereich in den Lüneburger Bürgerhäusern aufgeteilt waren.